Wirklich genießen könne sie die Beförderung nicht, meint meine Klientin, als ich ihr gratuliere. Das Ganze sei „bittersweet“.
Seit kurzem ist sie Führungskraft und hat eine Teamleiterstelle. Aber sie hadert mit der Beförderung, weil sie das Gefühl nicht loswird, aufgrund der Frauenquote im Unternehmen befördert worden zu sein.
Als ich sage, dass viele Männer kein Problem damit hätten, wenn sie aufgrund ihrer Netzwerke in eine bestimmte Position gelängen, entgegnet sie, dass sie einen anderen Anspruch an sich habe. Sie wolle ausschließlich aufgrund ihrer Fähigkeiten befördert werden.
Ein typisch weibliches Thema. Ich kann das nachvollziehen.
Obwohl allein die Tatsache, dass sie so selbstkritisch ist, von ihrer gewissenhaften Arbeit zeugt. Es gibt keinen Zweifel an ihren Fähigkeiten, Quote hin oder her. Ihre gute Ausbildung, die Berufserfahrung und ihre hervorragenden Leistungen sprechen eine deutliche Sprache.
Trotzdem ist da dieses ungute Gefühl: Hätte ich die Führungsposition auch bekommen, wenn es keine Frauenquote gäbe?
Objektiv betrachtet ist es müßig, darüber zu spekulieren. Entscheidend ist, dass wir das Beste daraus machen. Das Ganze pragmatisch sehen.
Aber wie kann man diese Selbstzweifel ablegen?
Indem man anschaut, wo sie herkommen. Das ist zwar bei jedem Menschen individuell, aber es gibt Gemeinsamkeiten. Die Ursache ist häufig ein Thema aus der Kindheit, wo wir – aus damaliger Perspektive – vermeintliche Wahrheiten erkannt haben.
Das können Situationen gewesen sein, die wir aus heutiger Sicht als banal einstufen würden. Interaktionen mit erwachsenen Respektspersonen, zum Beispiel Eltern, Lehrer oder Verwandte.
Wo wir uns geschämt oder blamiert haben oder kritisiert worden sind. Vielleicht waren wir nicht einmal selbst betroffen, sondern haben lediglich beobachtet, was mit einer anderen Person geschehen ist und daraus Rückschlüsse für uns selbst gezogen. Kinder kann so etwas tief prägen.
Typische Erkenntnisse sind dann beispielsweise „ich darf keine Fehler machen“, „ich habe es nicht verdient“ oder „ich muss das alleine schaffen“.
Der Ursache auf die Spur kommen, indem man das Gefühl im Körper verfolgt
Wie kommt man der Ursache einer solchen Überzeugung, die uns oft erst einmal gar nicht bewusst ist, auf die Spur? Indem man das körperliche Gefühl verfolgt, das damit verbunden ist.
Ich habe die Klientin gefragt, wie und wo sie etwas im Körper spürt, wenn sie an ihre Beförderung denkt. Und woher sie das Gefühl kennt. Wann sie es zum ersten Mal gespürt hat. So konnten wir die Ursache identifizieren und damit arbeiten.
Seit das ursprüngliche Thema keinerlei emotionale Belastung mehr bei ihr auslöst, hat sie auch ihren Frieden mit den möglichen Umständen der Beförderung gemacht. Ihre Grundüberzeugung von damals – das diffuse Gefühl, nicht gut genug zu sein – ist verschwunden.
Selbst wenn die Frauenquote eine Rolle gespielt haben sollte, kann sie das Ganze jetzt betrachten als das, was es ist: Ein Mittel zum Zweck. Durch die Beförderung hat sie die Möglichkeit, zu zeigen, was in ihr steckt. Und wie gut sie ihrer Führungsverantwortung gerecht wird.
Wenn wir unsere Fähigkeiten immer wieder in Frage stellen, regelmäßig die höchsten Ansprüche an uns selbst haben oder feststellen, dass unsere Selbstgespräche stets kritisch sind, lohnt es sich, das genauer zu betrachten. Es ist enorm befreiend, die Ursache dafür zu identifizieren, Verständnis für uns und unsere Reaktionen zu entwickeln und dann zu einem positiveren Selbstbild zu gelangen.