"Stimmt was nicht mit mir?"
Das habe ich mich lange Zeit immer mal wieder gefragt. Denn irgendwie schien ich komplizierter zu sein als andere.
Schon bei mäßigem Sonnenlicht halte ich es ohne Sonnenbrille nicht aus. Bin geblendet und die Augen fangen an zu tränen.
Zum Schlafen muss das Zimmer komplett dunkel sein, sonst sitze ich beim ersten Morgenlicht senkrecht im Bett. Ein Wecker mit beleuchteten Ziffern? Geht gar nicht.
Aber das waren erst die Augen. Bei Geräuschen ist es ähnlich. Das Ticken einer Armbanduhr im Schlafzimmer? Macht mich wahnsinnig. Und auch jegliches Geräusch aus dem Nebenzimmer oder von der Straße sorgt dafür, dass ich kein Auge zu tun kann.
Ich schlafe deshalb fast jede Nacht mit Ohrstöpseln. Eine Schlafmaske ist mein ständiger Begleiter, wenn ich nicht zu Hause übernachte.
Aber mit dem auswärts Schlafen ist es so eine Sache. Als Kind hatte ich enorme Schwierigkeiten, überhaupt einzuschlafen, wenn ich bei Freunden war. Manchmal habe ich die ganze Nacht wach gelegen, während um mich herum alle ratzten. Warum? Weil die Situation ungewohnt war und es so viele Eindrücke zu verarbeiten gab.
Ich habe auch schon immer gespürt, wenn etwas in der Luft lag. Die Stimmung der Leute um mich herum nehme ich deutlich war und merke sofort, wenn etwas nicht stimmt.
„Du bist eine Mimose“ bekam ich von meiner Mutter regelmäßig zu hören. „Hysterisch“ war eine andere Bezeichnung.
Später hat mein Mann das übernommen: Wenn ich nach 2 Minuten eine Blase vom scheuernden Schuh hatte oder mir schlecht wurde, wenn es irgendwo streng gerochen hat, hieß es vorwurfsvoll: „Du bist einfach viel zu empfindlich!“
Bin ich ein Freak?
Inzwischen weiß ich, dass es nicht so ist. Mir ging ein Licht auf, nachdem ich Kinder bekommen hatte.
Weil beide Kinder über Jahre nachts ständig wach wurden, fast nie im Kinderwagen geschlafen haben, noch immer bei Abweichungen vom Plan ausrasten und insgesamt sehr alert sind, habe ich auf der Suche nach Hilfe viel gelesen.
Und dann war mir plötzlich alles klar: Wir sind hochsensibel.
Alles um uns herum nehmen wir intensiver war. Geräusche, Licht, einen kratzenden Pullover, die Stimmung anderer Leute. Ausbrüche aus der Routine, für die meisten sehr willkommen, stressen uns. Denn es gibt so viel Neues zu verarbeiten. Und Emotionen fühlen wir stärker als andere Leute – die positiven wie die negativen.
Es ist eine explosive Mischung, wenn Mutter und Kind hochsensibel sind. Wir schaukeln uns gegenseitig hoch. Aber seit ich mich mit dem Thema beschäftige, ist es leichter geworden. Ich verstehe, was da passiert und warum. Und kann gegensteuern. Auch mein Mann hat mehr Verständnis.
Für meine Arbeit ist das alles sehr nützlich, denn ich spüre viel, was nicht gesagt wird. Kann mich gut in meine Klientinnen hineinversetzen und fühle mit ihnen.
Hochsensibilität ist übrigens gar nicht so selten: Schätzungen zufolge sind 15-20 % der Menschen so veranlagt.